Semmelnknödeln, äh, Speisenkarten
Herrlich! Der Wortzerklauber Karl Valentin hat die Diskussion um das Speise-N-karten-Zähl-O-Meter schon vor langer Zeit angeregt – und Barbara Damm lässt uns in ihrem Artikel „Es ist schon alles gesagt! Nur noch nicht von allen! – Die Wortakrobatik des Karl Valentin“ daran teilhaben. Ich sag es ja: Herrlich. Aber lesen Sie selbst:
Eine Sprache beherrschen bedeutet, daß der Sprechende in der Lage ist, subjektiven Sinn zu objektivieren und objektiven Sinn zu subjektivieren. Sprechen und Verstehen, Performanz und Kompetenz bedingen einander wechselseitig. Bei Valentin dagegen ist Sprache kein Verständigungsmittel, sondern Stolperstein. Die Absurdität liegt darin, daß ihm, oder besser, seinen Figuren, nichts anderes übrig bleibt, gegen diesen Stolperstein mit dem Mittel anzugehen, das sie am wenigsten im Griff haben -- der Sprache. Wem aber die Worte fehlen, der kann weder verstehen noch sprechen, mag man einwenden. Doch da hat man nicht mit Valentin-Charakteren gerechnet: Sie sind Meister der Beharrlichkeit -- Hindernisse sind schließlich da, um überwunden zu werden! Wo es hakt, machen sich die Wortakrobaten das tückische Objekt einfach auf ihre Weise nutzbar. Das gesamte Valentin-Werk spottet dem Ausspruch Voltaires: "Alles, was einer Erklärung bedarf, ist die Erklärung nicht wert" -- Valentin-Figuren erklären sich um Kopf und Kragen:
"V.: ...deln!
L.: Was 'deln'?
V.: Semmelnknödeln heißt's!
L.: Ich hab ja g'sagt Semmelknödel.
V.: Nein, Semmelnknödeln!
L.: Nein, man sagt schon von jeher Semmelknödel.
V.: Ja, zu einem -- aber zu mehreren Semmelknödel sagt man Semmelnknödeln.
L.: Aber wie tät' man denn zu einem Dutzend Semmelknödel sagen?
V.: Auch Semmelnknödeln -- Semmel ist die Einzahl, das mußt Ihnen merken, und Semmeln ist die Mehrzahl, das sind also mehrere einzelne zusammen. Die Semmelnknödeln werden aus Semmeln gemacht, also aus mehreren Semmeln; du kannst nie aus einer Semmel Semmelnknödeln machen. [...]"Wer Valentin kennt, weiß, daß diese Diskussion sich endlos im Kreise dreht -- ein dramaturgisches Konstruktionsprinzip, das dem Menschen die Fähigkeit nimmt, Situationen zu kontrollieren. In diesem Fall rutschen die Figuren in einen Argumentationskreislauf, aus dem es kein Entrinnen gibt. Da sie sich nunmal ihrer schiefen Logik ausgeliefert haben, müssen sie sich vom normalen Denken verabschieden. So beharren sie denn auch stur auf dem Absurden, bis ein Befreiungsschlag sie erlöst:
"V.: [...] solang die Semmelnknödeln aus mehreren Semmeln gemacht werden, sagt man unerbitterlich Semmelnknödeln.
K.: Du sagst es aber auch nicht richtig; jetzt hast grad g'sagt Semmelnknödeln.
V.: Nein, ich hab g'sagt Semmelnknödeln.
K.: Richtig muß es eigentlich Semmelknödeln heißen; die Semmel muß man betonen, weil die Knödel aus Semmeln gemacht sind -- überhaupt, das Wichtigste ist der Knödel; Semmelknödeln müßt es ursprünglich heißen.
V.: Nein, das Wichtigste ist das n zwischen Semmel und Knödeln.
K.: Ja, wie heißt es dann bei den Kartoffelknödeln?
V.: Dasselbe n, Kartoffelnknödeln.
K.: Und bei den Schinkenknödeln? Ah --
V.: Da ist's genauso -- da ist das n schon zwischendrin, es gibt keine Knödeln ohne n.
K.: Doch, die Leberknödeln.
V.: Ja, stimmt! -- Lebernknödeln kann man nicht sagen!"Der Redner V. setzt sich tapfer über den Sprachgebrauch hinweg und versucht mit einer Art Pseudoetymologie logisch-argumentativ einen Sinn in Sprachkonventionen hineinzuschrauben. Das Ziel des Gespräches ist müßig und geht völlig am Gegenstand vorbei, da der Sprache ein Sinn unterstellt wird, den sie nicht hat. Nicht zuletzt entsteht die Komik der Szene aus der dringenden Notwendigkeit, mit der Knödelform und Knödelsorten durchdekliniert werden. Was oberflächlich betrachtet so naiv klingt, ist ein massiver Streit um den korrekten, objektiv verbindlichen Sprachgebrauch des Wortes 'Semmelknödel', als handele es sich um die fundamentale Auslegung eines Gesetzestextes. Die Verbindung von heroischer Form und banalem Inhalt kannte schon die menippäische Satire. Auch bei Valentins Zwang, völlig unproblematische Alltagsbegriffe zu definieren, kippt das Pathos ins Bathos.
[ via: parapluie ]
Ich lach mich scheckig! :-))
PS: Und wieder einmal ein herzlicher Dank an Herrn Pratsch für diesen Web-Tipp und vorzüglichen Lesegenuss.
Erotische Speisekarten
Karten gibt es in Betrieben ja nicht nur für Speisen und Getränke, sondern auch für Wein, Eis, Desserts, Zigarren, etc. – Ganz allgemein handelt es sich bei einer Karte immer um ein Angebots-, Preis- bzw. Warenverzeichnis. Daher kann man das Prinzip in allen Betrieben anwenden, die ihren Kunden eine größeren Palette von Produkten oder Dienstleistungen anbieten, aus der typischerweise nur eines (oder wenige) ausgewählt werden. Dazu gehören auch Betriebe aus dem horizontalen Gewerbe:
In der Ausstellung sind rund 400 Exponate aus der Zeit von 1850 bis 2005 zu sehen. Hinter jedem Stück steckten «Geschichten von Licht- und Schattenseiten der Prostitution», sagt Dücker. Ausgestellt werden benutzte Bordell-Handtücher und echte «Ackerschuhe», Highheels mit 20 Zentimeter hohen Absätzen oder wattierte Winterstiefel für den Straßenstrich. Daneben gibt es Installationen zur «Körperarbeit» wie den «gefallenen Engel» oder «Erotische Speisekarten» mit detaillierten Preisen für sexuelle Dienstleistungen. «Wir wollen aber keinen Voyeurismus bedienen, sondern Lebenswelten zeigen und Mythen entzaubern», betont Dücker.
[ via: Yahoo! ]
Wem fallen weitere Betriebe ein, die Speisekarten im weitesten Sinne verwenden? – Hey, ihr sollt euch mit den Speisekarten-Aspekten des Themas beschäftigen, nicht mit den sonstigen Inhalten der in obigem Artikel angekündigten Ausstellung ;-)
Sex, Sex, Sex … und Speisekarten
Na, was haben Sie gedacht? Hier geht es doch bekanntermaßen um Speisekarten, nicht um Körperflüssigkeitsaustausch. Doch es gibt Verbindungen zwischen den Themen – wie man bei regelmässigen Web-Recherchen immer wieder bemerkt. Diesmal erfährt man unter dem Titel Wandelnde Speisekarten:
Eine heiße Idee hatte der Betreiber von „Perry’s Beach Cafe“: Er lässt in seiner Strand-Bar knackige Bikini-Schönheiten kellnern. Die Speisekarte bekommen die Girls direkt auf ihren Body geschrieben. So können sich hungrige und durstige Gäste zum Beispiel auf Devras prallen Möpsen erkundigen, welche Bier sie schlürfen wollen. Tja, wie heißt es noch so schön? Das Auge isst mit …
[ via: praline.de ]
Obwohl diese Speisekarten-Idee an sich ja was hat, ist sie nun wirklich nicht gerade neu.
Leider ist in diesem Glanzstück populären Online-Journalismus nirgendwo zu erfahren, wer Perry oder Devra sind, wo das Beach Cafe liegt, oder warum man sich auf Devras übergewichtigen Hund stellen muss (das arme Tier), um die verfügbaren Biersorten zu erfahren. (Vielleicht hängt die Karte zu hoch an der Wand?)
Da Obiges schon den gesamten Eintrag aus den Blog-News (sic!) der Praline wiedergibt, frage ich mich: Wer schreibt sowas? Und wer liest sowas? (Bei mir ist es jedenfalls wissenschaftliches Interesse :) – Wünschenswert wäre in diesem Fall etwas Vergleichbares zum Bildblog oder den verschiedenen Erklärungsversuchen für den Geschäftserfolg von Fast-Food-Restaurants.
Wenigstens kann man in diesen Blog-News nebenbei gleich noch erfahren, dass Quickies und Fesselspiele Verletzungsrisiken bergen und das Untersuchungen in Kalifornien gezeigt haben, dass Frauen genauso viele verschiedene Sex-Partner haben wollen wie Männer. Toll! (soviel zur Qualitätsdiskussion Blogs vs. echter Journalismus.)
Das Auge isst also mit und Lesen bildet. Naja, zumindest meistens – in beiden Fällen. >:-)
PS1: Mei, mei, mei – dieser Eintrag nimmt ja schon fast wirre Züge an. Aber da kann ich n’ix für ;-)
PS2: Ich sach nur ma: Nipplegate.